Wird dem Hyazinthara der Schnabel zu groß?

von

Hans-Jürgen Künne

Um es gleich zu sagen, handelt es sich hierbei um eine nicht ganz ernst gemeinte Frage, da der Evolution wohl kaum ein derartiger Fehler wie ein zu groß geratener Schnabel unterlaufen wird. Dennoch gibt es Grenzbereiche, wo ein Körperteil eine Aufgabe mit Bravour erfüllt, eine zweite, anders geartete Aufgabe, jedoch nur bedingt erfüllen kann. Ein solches Problem könnte der Hyazinthara meiner Meinung nach mit seinem Schnabel haben. Dieser Schnabel ist hervorragend dazu geeignet, an die Nahrung zu gelangen, allerdings scheint er Probleme beim Füttern der Jungtiere zu bereiten.

Größter Papagei der Erde

Der Hyazinthara ist mit einer Körperlange von ca. einem Meter der größte Papagei unserer Erde und besitzt einen gewaltigen Schnabel. Einen ähnlich großen Oberschnabel können nur noch die zwei großen Unterarten des Palmkakadus (Probosciger atterimus goliath und P.a.stenolophus) vorweisen. Allerdings sind deren Schnabel wesentlich schmaler gebaut und der Unterschnabel wirkt geradezu zierlich gegenüber dem der Hyazintharas. die an der Schnittkante eine Breite von durchschnittlich 30.6 mm aufweisen.

Adulte Hyazintharas haben beeindruckend großen Schnäbel, mit denen sie selbst härteste Palmnüsse knacken können.

Warum hat der Hyazinthara aber nun so einen großen Schnabel? Wie jüngere Untersuchungen zeigen, scheint der Hyazinthara ebenso wie seine nahen Verwandten. der Lear-Ara (Anodorhynchus leari) und der vermutlich ausgestorbene Meerblaue Ara (Anodorhynchus glaucus), ein Nahrungsspezialist zu sein. Diese drei blauen Aras haben sich auf den Verzehr der Früchte von Palmen spezialisiert. Die Schale dieser Palmnüsse ist in der Regel extrem hart und kann auch vom Menschen nur mit großer Mühe geknackt werden. Ein normaler Nußknacker reicht hier nicht aus, sondern es muß schon zu einem größeren Hammer gegriffen werden. Ein "normaler" Papageienschnabel, wie z.B. der einer Amazone, hat also keine Chance,an die Frucht dieser Nüsse zu gelangen.

So stellten C. Yamashita und M. de Paula in einer Untersuchung fest, daß der Hyazinthara und der Lear-Ara ganz präzise die Palmnüsse öffnen. Die Aras setzen dabei die Schneidekante des Unterschnabels als Keil ein, mit dem sie die Nüsse spalten. Die anderen, nicht auf Palmnüsse spezialisierten großen Aras haben dagegen keine bestimmte Technik entwickelt, um an die Palmnüsse zu gelangen, was an den Fraßspuren eindeutig zu erkennen ist. Aber die Aras der Gattung Anodorhynchus sind scheinbar recht wählerisch und fressen nicht alle Palmnüsse, sondern wählen jeweils die einer bestimmten Größe aus. Die Hyazintharas haben sich offenbar auf die Früchte der Mucuja-Palme (Acrocomia lasiopatha), der Bocaiuva-Palme (Acrocomia aculeata) und der Acuri-Palme (Attalea phalerata) spezialisiert.

Nahrungsspezialisten sind besonders gefährdet

Diese Spezialisierung auf bestimmte Früchte der Palmen garantiert den Aras einen recht konkurrenzlosen Nahrungserwerb, da zumindest nur wenige andere Vogelarten in der Lage sind, die Schalen dieser Früchte zu knacken, allerdings ist der Fortbestand dieser Ara-Arten auch abhängig von dem Vorkommen dieser Pflanzen. Zumindest fur den Meerblauen Ara scheint diese Spezialisierung eine Sackgasse gewesen zu sein, denn mit dem Verschwinden der Yatay-Palme (Butia yatay) ist ihm vermutlich die Lebensgrundlage entzogen worden. Eine Umstellung auf andere Nahrungsquellen scheint ihm nicht gelungen zu sein, denn er gilt als ausgestorben.

Großer Schnabel + kleiner Schnabel = Probleme!

Doch nun zurück zu dem Schnabel der Hyazintharas. Er ist, wie gezeigt wurde. den Ernahrungsgewohnheiten dieser Art besonders gut angepaßt. Allerdings scheinen die Vögel Schwierigkeiten beim Füttern ihrer Jungen zu haben, und zwar ganz besonders in den ersten Lebenswochen der Küken. Dieses konnte ich schon vor einigen Jahren bei meinem Zuchtpaar und deren erster erfolgreichen Brut beobachten. Bei Nestkontrollen in den ersten Lebenswochen der Jungen konnte ich jedesmal feststellen, daß die Jungen stark mit Futterresten verschmiert waren. Das Nistmaterial um die Jungen herum war ebenfalls mit Futter verschmiert. Damals bin ich davon ausgegangen, daß besonders mein Zuchtweibchen noch nicht genügend Erfahrung hatte, um die Küken richtig zu füttern. Allerdings änderte sich die Situation auch bei den folgenden Bruten nicht. Da ich ein derartiges Fehlverhalten bei meinen anderen Papageien noch nie beobachten konnte, bin ich davon ausgegangen, daß lediglich mein Hyazinthara-Weibchen die Technik des Füttern nicht beherrschen würde.

Um so uberraschter war ich dann, als ich von anderen erfolgreichen Züchtern der Hyazintharas ähnliches hörte. Auch sie hatten beobachtet, daß die Jungen in den ersten Lebenswochen häufig mit Futterresten beschmiert waren. Leider ist es nur sehr schwer möglich, das natürliche Verhalten der Tiere in der Bruthöhle zu beobachten. Erst der Einsatz von kleinen Videokameras machte den Einblick in die Kinderstube möglich. So könnte neuerdings auch das Verhalten eines Hyazinthara-Paares in der Nisthöhle näher durchleuchtet werden (Hebel, mundl. Mitteilung).

Im Vergleich zu den Schnäbeln der Alttiere sind die der Jungen sehr klein. Das Foto zeigt ein vier Tage altes Jungtier, das in der Brutmaschine erbrütet wurde. frisch geschlüpfte Jungtiere sind noch kleiner, da sie in den ersten vier tagen ihr Gewicht um ca. 30% erhöhen. Die 2-ml Spritze verdeutlicht hier sehr gut die Winzigkeit des Jungen.

Das Futter wurde von diesem Weibchen in den ersten 2 bis 3 Tagen nicht so, wie allgemein bekannt ist, übergeben, sondern das Weibchen ließ sehr dünnflüßigen Futterbrei an der Zunge herunter in den Schnabel des Jungen fließen. In den folgenden Tagen wurde das Junge auf die von Papageien bekannte Art und Weise gefüttert, indem das Futter hervorgewürgt und dem Jungen in den Schnabel gegeben wurde. Allerdings hatte das Weibchen Schwierigkeiten bei der Futterubergabe, da es scheinbar den winzigen Schnabel nicht direkt treffen und somit das Futter ohne Probleme übergeben konnte.

Es würgte vielmehr einfach Futter hervor und übergab es in Richtung Schnabel. Dabei fiel das meiste daneben, und das Alttier versuchte, weiteres Futter mit Schnabel und Zunge in den Schlund des Kleinen zu befördern. Allerdings konnte so nur wenig von dem hervorgewürgten Brei tatsächlich übergeben werden. Der Rest wurde vom Weibchen wieder gefressen. Mit zunehmender Größe des Küken gelang es dann immer besser, das Futter direkt in den Schnabel zu übergeben.

Warum haben die Hyazintharas aber in den ersten Wochen der Jungenaufzucht Probleme mit der Futterübergabe? Die Frage kann eigentlich sehr schnell beantwortet werden, wenn man sich die Schnabel der Alttiere und die der Jungen in direkten Vergleich betrachtet. Der Größenunterschied ist so gewaltig, daß es schwerfällt, die Jungen als Hyazintharas zu identifizieren. Junge Hyazintharas sind nämlich ausgesprochen klein im Vergleich mit Jungtieren von anderen Papageien. Der leichteste bei mir geschlüpfte Hyazinthara wog lediglich 16.2 g und der schwerste auch nur 24.6 g. Die Jungen sind also nur unwesentlich größer als z. B. junge Graupapageien oder Amazonen. Die Hyazintharas sind also aufgrund ihrer Größe kaum in der Lage, ihre frischgeschlüpften Jungen vernünftig zu füttern.

Spezialisierung hat Vor- und Nachteile

Allerdings dürfte die Behinderung bei der Jungenaufzucht durch den zu wuchtigen Schnabel keine Auswirkungen auf den Fortbestand der Hyazintharas haben, da die Tiere es ja doch immer irgendwie schaffen, ihre Jungen satt zu bekommen. 5ollte dieses jedoch tatsächlich einmal der Fall sein, wären die Elterntiere mit einem kleineren Schnabel im Vorteil. und deren Jungen hätten die großeren Überlebenschancen, was auf Dauer gesehen wieder zu kleineren Schnabeln führen würde. Deutlich wird an diesem Beispiel aber, daß eine Spezialisierung zwar fur gewisse Lebensbereiche von großem Vorteil sein kann, aber durchaus in anderen Bereichen Nachteile bringen kann.

Literatur

Yamashita, C. u. M. de Paula (1993): On the linkage between Anodorhynchus macaws and palm nuts. and the extinction of the Glaucus Macaw. BOC-Bulletin,113(1).
Pittman. T. (1994): Uber die Ernährung der Anodorhynchus-Arten im Freileben. Papageien, 2/94, S. 54-56.

Erschienen in: "Gefiederte Welt", Ausgabe 10/96